_My unknown enemy

My Unknown Enemy – eine internationale Schauspielerbegegnung zu "Warten auf Godot" von Samuel Beckett

Ein Projekt des CIDC in Kooperation mit den ITI Zentren Bangladesh, Deutschland, Indien und Nepal

Dhaka 07. – 17.04.2004

Die Idee zur Workshop-Serie wurde vom Berliner Regisseur Alexander Stillmark entwickelt, dem Cultural Identitiy and Development Committee des ITI als Projekt vorgeschlagen und von den Mitgliedern dieser internationalen Arbeitsgruppe angenommen.

Ausgangspunkt war ein Begegnungsworkshop von Schauspielern aus Deutschland und dem Maghreb, einschließlich des Irans, welches in Fortsetzung des Projekts "bild.bau.stelle II" als künstlerisches Begleitprogramm des ITI zu "Theater der Welt" 2002 in Bonn durchgeführt wurde.

Damals war die Absicht, angesichts der Vorurteile und Verdächtigungen in der überbordenden Terrorismusangst mit unseren künstlerischen Mitteln eine Position zu schaffen. Der klassische Text "Philotas" des deutschen Aufklärers Lessing, schuf die Grundlage für eine Rückbesinnung auf gemeinsame Wurzeln einer humanistischen Aufklärung.

"My Unknown Enemy" ("Mein Unbekannter Feind") setzt sich zum Ziel, Theatermacher aus Ländern, welche in bilaterale (historische oder aktuelle) politische, religiöse oder kulturelle Konflikte verwickelt sind, zu einer gemeinsamen Probenarbeit einzuladen. Der dramatische Text liefert hierbei das Material und den Gegenstand, um sich über Konfliktsituationen, Feind- und Heldenbilder, scheinbar absolute Differenzen und Toleranzgrenzen in spielerischer Diskussion und theaterpraktischer Erfahrung zu verständigen. Um für beide Seiten gleiche Ausgangsbedingungen zu schaffen, sollen die Workshops immer in einem neutralen Drittland (welches gleichwohl seinerseits ähnliche Konflikterfahrungen besitzen kann) durchgeführt werden. Im Rotationsprinzip sollte der Gastgeber das nächste Mal Teilnehmer sein.

In diesem Sinne war der Workshop im Dezember 2003 in Kairo ein erster wichtiger Zwischenschritt. Ebenfalls anhand von Lessings "Philotas" arbeitete Stillmark mit Schauspielern aus Ägypten, Deutschland und der Schweiz. Getragen wurde dieser Workshop vom ITI Deutschland und dem Goethe Institut Kairo.

Gleich nach der Annahme des Projekts auf dem Weltkongress in Athen, zeigten die Zentren von Zypern und Bangladesh ein starkes Interesse an dieser Form der Schauspielerbegegnung.

Auf der Board-Sitzung des CIDC im Dezember 2003 wurden die Weichen für einen Workshop in Bangladesh gestellt, indem Bangladesh die Gastgeberrolle übernahm. Geplant wurde ein 10-tägiger Theaterworkshop mit Schauspielern aus Indien, Pakistan Sri Lanka und Nepal – in Dhaka / Bangladesh. Dabei konnte folgende Teilung der finanziellen Aufwendungen vereinbart werden: Das ITI Bangladesh trägt Sorge für die Unterkunft, die Versorgung und den lokalen Transport. Die ITI Zentren der beteiligten Länder tragen die Kosten für die Reisen der Teilnehmer.

Über Monate liefen die Vorbereitungen, ein intensiver Email-Austausch und Telefonate zwischen Dhaka, Berlin, Kalkutta, Katmandu, Karachi, Lahore und Delhi. Die Schauspieler aus Sri Lanka mussten leider wegen nicht aufzubringender Flugreisekosten und einer Folge nationaler und religiöser Feiertage in der geplanten Zeit absagen. Die Teilnahme für die Künstler aus Nepal und Pakistan wird nur möglich, wenn es eine finanzielle Unterstützung für die Beteiligten gibt. Diese kann schließlich durch das ITI Deutschland (aus Mitteln der Kulturstiftung der Länder) gewährt werden.

Als Textgrundlage wählt Stillmark diesmal Samuel Becketts "Warten auf Godot".

Grundsätzlich soll der Bewegungsworkshop ergebnisoffen sein, um die Teilnehmer nicht unter störenden Druck zu setzen. Es geht nicht um die Herstellung einer Aufführung oder um die Rezeption eines Autors. Im Mittelpunkt steht die Begegnung der Spieler und nicht eine Abschlusspräsentation. Allenfalls, falls die Teilnehmer es wünschen, ist an ein "Thanksgiving" für den Gastgeber gedacht. Die bisherigen Erfahrungen haben gezeigt, dass die Teilnehmer jedes Mal von dieser Möglichkeit Gebrauch machten und gern einen Einblick in die Arbeit und Erfahrungen der gemeinsamen Tage gaben. In Bangladesh wurde in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut Dhaka unser Abschluss als öffentliche Vorstellung im Veranstaltungssaal des Instituts vorbereitet.

April 2004:

Der Berliner Regisseur Alexander Stillmark, Michael Freundt – als Dramaturg und Workshop-Koordinator – und Ujjval Batacharya (Journalist und Übersetzer) reisen von Deutschland nach Bangladesh. Nun muss sich das Konzept "My Unknown Enemy" zum ersten Mal praktisch erweisen. Wir kennen die Teilnehmer nicht, bei ihrer Auswahl haben wir auf die Kompetenz der Kollegen in Delhi, Kalkutta, Katmandu, Lahore und Karachi vertraut. Welche Voraussetzungen bringen sie mit? Wie werden sie aufeinander reagieren? Welche politischen / welche theaterpraktischen Erfahrungen werden wir miteinander machen?

Vierzehn Teilnehmer werden schließlich mit uns arbeiten. Sieben Kollegen aus Indien, sechs aus Pakistan und ein Schauspieler aus Nepal. Wir arbeiten an insgesamt fünf Szenen aus dem ersten Akt des Stückes. Szenen zwischen Wladimir und Estragon, dem Auftritt Pozzos und Luckys, dem Monolog Luckys und dem Auftritt des Jungen (der die Nachricht vom Nicht-Erscheinen Godots überbringt).

Über das Thema der Feindbilder, des Anderen und der Fremdheit wird mehrfach improvisiert. Es entstehen Boalsche Gesten-Maschinen, lebende Skulpturen und improvisierte Szenen zu diesen Themen. Bemerkenswert und für alle augenfällig wird die Differenz zwischen den propagierten, klischeehaften Feindbildern ("Man sagt, die Muslims sind meine Feinde." Man sagt, die Inder sind meine Feinde." Man sagt, die Frau ist mein Feind." u.a.) und den subjektiven Ängsten und Bedrohungen, den persönlichen Feindbildern, welche die Teilnehmer haben: "die, die Bildung verhindern", "die Oligarchie in meinem Land", "jene, die mich hindern, mich frei zu entwickeln"...). Es sind weniger die politischen oder religiösen Differenzen, welche die Teilnehmer als einander trennend wahrnehmen und die zum Vorschein kommen.

Die politische und religiöse Grenzziehung zwischen Pakistan und Indien wird als ihnen von außen / von der politischen Führung aufgesetzt reflektiert. Sie selbst – als Künstler, als politisch denkende Menschen, fern eines religiösen Alleinvertretungsanspruchs – sehen sich offen gegenüber der Begegnung mit der anderen Seite.

So wird nicht von unterschiedlichen Positionen aus, sondern gemeinsam über die Differenzen, das Trennende verhandelt. Die gemeinsamen Wurzeln in der indischen Kultur werden von allen gewürdigt, das Besondere der Sprache und Kultur in den einzelnen Regionen (ob in der bengalischen Sprache, in der Kultur des Punjab, Manipuras, Tripuras, ...) wird von allen respektiert.

Auf diesem Wege muss der Workshop nicht die Überwindung der Grenzen leisten. Es braucht nicht das Erarbeiten von Toleranz und Verstehen oder das theaterpraktische Durchspielen der Positionen des Eigenen und des Fremden, von Freund und Feind.

Aber gemeinsam schaffen wir uns Klarheit über die Macht-Mechanismen von Ausgrenzung und Abwehr des Fremden, Radikalisierung und Fanatisierung, Gewaltausübung. Aber auch die Stärke des Unterlegenen und die Angst des Mächtigen sind Themen, die in den Szenen und Improvisationen zum Tragen kommen. Aber selbstverständlich haben die je verschiedenen historischen Erfahrungen des Lebens in einer Demokratie oder Militärdiktatur die Künstler nachhaltig geprägt. Der tägliche oft gefährliche Kampf für die Frauenrechte in Pakistan, den die Gruppe um Sheema Kermani führt, prägt die Theaterleute anders als die Schauspieler in Indien, die in einer liberaleren Theater machen.

Nach der 10-tägigen Arbeit war die Präsentation des Arbeitsprozesses, einzelner Szenen und thematischer Improvisationen im Auditorium des Goethe-Insituts Dhaka ein kleiner Höhepunkt. Rund 100 Besucher, darunter zahlreiche Akteure der bengalische Theaterszene, regelmäßige Besucher der Veranstaltungen, Partner des Goethe-Instituts und Vertreter des ITI Bangladesh sahen die rund 70-minütige Vorstellung und nutzten die Gelegenheit zum angeregten Austausch mit den Teilnehmer des Workshops.

Unser besonderer Dank sei an dieser Stelle dem CIDC und ITI von Bangladesh für die liebevolle und umsichtige Gastgeberrolle ausgesprochen.

Wir glauben, als ein wesentliches Ergebnis dieses Workshops nehmen die Teilnehmer Lachen und Fragen mit nach Hause. Es ist die Erfahrung einer Gemeinschaft von Künstlern und engagierten Zeitgenossen über alle religiösen und politischen Grenzen hinweg, die sie mit großer Offenheit und Freude genossen haben. Und es ist ein Prinzip des Fragens – Fragen zu stellen an den Text, an die eigene Arbeit, an die Gegenwart, in der man lebt und damit das Bewusstsein einer Verantwortung, die man für sich, die eigene Arbeit und für seinen Anteil an der Gemeinschaft trägt.

Michael Freundt
ITI Germany
02.05.2004


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