"My Unknown Enemy"
– Theaterworkshop mit Künstlern aus beiden Teil Zyperns
Im Januar 2005 fand – in Kooperation mit den Berliner
Festspielen I spielzeiteuropa – ein weiterer Workshop
der "Unknown Enemy"-Reihe in Berlin statt. Eingeladen waren Schauspieler
aus Zypern, griechische und türkische Zyprioten. Über
zehn Tage wurde auf der Probebühne im Haus der Berliner Festspiele
gearbeitet, am Schluss stand eine öffentliche Präsentation
des Arbeitsprozesses auf der Seitenbühne des Hauses.
Organisiert und finanziert wurde der Workshop gemeinsam mit dem
zyprischen Zentrum des ITI und dem Theater der türkischen Gemeinschaft
von Nikosia. Auf deutscher Seite konnte die Finanzierung aus Projektmitteln
des ITI, gefördert durch die Kulturstiftung der Länder
ermöglicht werden. Die künstlerische Leitung lag bei Alexander
Stillmark, Regisseur in Berlin.
Das Vorfeld des Workshops
Im September 2004 führte eine erste Vorreise Alexander Stillmark
mit den zypriotischen Organisatoren und mit Teilnehmern zusammen.
Es war geplant, eine kleine Arbeitsgruppe von insgesamt 6 bis 8
Teilnehmern zu bilden und dabei Künstler einzubeziehen, die
sehr unterschiedlich in den Konflikt involviert sind. Einerseits
Ältere, die vor 1974 das Zusammenleben von griechischen und
türkischen Zyprioten erlebt haben. Dann Andere, für die
die Teilung des Landes nicht die einzige, aber die prägende
Erfahrung ist. Und schließlich Jüngere, die in den Konflikt
hineingeborgen wurden.
Es bestand auf unserer Seite, also bei den deutschen Initiatoren
und Organisatoren, auch die aus den vorangegangenen Workshops gewachsene
Erwartung, dass die eingeladenen Theaterleute die Fähigkeit
zur kritisch distanzierten Betrachtung der Situation des eigenen
Landes einbringen und als Künstler, als Schauspieler (vergleichbar
wechselnden Rollen) auch andere Perspektiven auf den Konflikt einnehmen
und durchspielen können, die eigene Situation und Haltung befragen
würden.
Grundlage für den Workshop bildete Shakespeares "Othello".
Diese Information und die Bitte, den Text zu studieren, bemerkenswerte
Stellen zu markieren und zugleich eigene Texte, Bilder und kleinere,
persönliche Requisiten mit nach Berlin zu bringen, wurde den
Teilnehmern vorab übermittelt.
Schließlich trafen sich in Berlin drei griechische Zyprioten
und drei türkische Zyprioten. Hinzu kamen eine griechische
und eine türkischstämmige Schauspielerin, welche beide
in Deutschland leben, in den Konflikt auf Zypern nicht involviert,
aber über die Sprache mit ihren Kollegen verbunden sind. Arbeitssprache
war Englisch, Übersetzungen ins Deutsche, Griechische, Türkische
problemlos in der Gruppe möglich.
Erfahrungen
Die eindrücklichste Erfahrung dieses Workshops war die Stärke,
mit der der politische Konflikt von den Menschen und ihrer künstlerischen
Arbeit Besitz ergriffen hat.
Gleich am Anfang – geplant war eigentlich eine kleine Vorstellung
mit einem künstlerischen Text – platzierte ein Teilnehmer
ein Statement zum Zypern-Konflikt aus seiner Sicht. Die andere Seite
(in diesem Fall formuliert von einem türkischen Schauspieler)
konnte dieses Statement nicht unerwidert lassen, stellte ihre Sicht
auf die Ereignisse der Vergangenheit und der Gegenwart dagegen.
Und obwohl immer wieder die Offenheit und der gegenseitige Respekt
betont wurden – schon im ersten Moment formierten sich die
Künstler zu Vertretern politischer Positionen und nahmen auch
die Gegenseite kollektiv "in Haft" für eine Position, die einer
unter ihnen äußerte.
Die Arbeit an einem Theatertext ermöglicht in den Workshops
stets das produktive Pendeln zwischen zwei Arbeitsfeldern, dem Thematisieren
des Konflikts und der künstlerisch-praktischen Arbeit an den
Szenen. Hier allerdings hatten wir es mit zwei sehr unterschiedlichen
Gruppen von Schauspielern zu tun. Während die türkischen
Zyprioten alle aus einem Ensemble kamen, eine gemeinsame Methode
und viel Spielerfahrung hatten, bildeten die griechischen Zyprioten
eine äußerst heterogene Gruppe. Neben der alten, erfahrenen
Komödiantin standen der Regisseur mittleren Alters und eine
sehr junge Kollegin mit wenig Bühnenerfahrung.
Auch erwies sich die Sprache Shakespeares und die Textform als
eine zu komplizierte Vorlage, um die Brücke einer verbindenden
Sprache ausdauern zu beschreiten. Immer wieder wichen die Schauspieler
in ihre Muttersprache aus. Im Ergebnis verstärkten sich die
Differenzen auf professioneller Ebene, ein Miteinander spielen,
gemeinsames Ausprobieren einer Szene fand kaum statt. Beide Seiten
blieben vorzugsweise unter sich, empfanden die Situation als zugleich
unbefriedigend und unmöglich für eine gegenseitige Öffnung.
Der Weg einer künstlerischen Zusammenarbeit jenseits der politischen
Differenzen erwies sich hier als nicht gangbar. Was uns gemeinsam
nicht gelang, ist, ein tatsächliches Interesse an der künstlerischen
Perspektive des Anderen, seiner Sicht auf den Text und auf die Theaterarbeit
zu wecken.
Arbeitsbegegnung
Was allen gut getan hat und zugleich als sehr theaternahe Form
stärker hätte funktionieren können, war der komisch-verkehrende
Spiegel, wäre eine parodistische Widerspieglung der Haltungen
und Statements der Beteiligten – ein Entkrampfen der Situation
im Lachen.
In dem Moment, in welchem zu Themen einzelner Szenen (Jago manipuliert
Othello, Jago ermordet den einzigen Zeugen, aus der Beziehung Desdemonas
zu Othello wird ein Skandal gemacht, etc.) improvisiert wurde und
sich diese Improvisationen ins Komische steigerten, entstand eine
künstlerische und menschliche Brücke zwischen den Spielern,
lösten sich die Spannungen.
Im Spiel schienen die gegensätzlichen Positionen überwindbar,
jedoch: das gemeinsame Agieren hinterließ keine sichtbaren
Spuren eines Verstehens oder einer Verbundenheit.
Dem politischen Konflikt war von uns, den Veranstaltern, auch bewusst
eine zentrale Rolle eingeräumt worden. Gegensätzlichkeit
und Unversöhnlichkeit waren auszuhalten – kompromissloser,
persönlicher und existentieller als in den bisherigen "My Unknown
Enemy"-Workshops. Dem hätte im Verlauf des Workshop stärker
noch Raum gegeben werden müssen, auch um auf diesem Feld mit
den Methoden der Konfliktbearbeitung zu arbeiten.
Abschlusspräsentation
Deutlich wurde dies noch einmal in der Abschlusspräsentation
des Workshops. Nachdem die Arbeitsweise in den zurückliegenden
10 Tagen vorgestellt wurde und szenische Improvisationen einen eher
komödiantischen Eindruck boten, überraschte der Verlauf
der anschließende Diskussion.
Für die Moderation des Gesprächs hatten wir Christoph
Ramm, Historiker an der Ruhruniversität Bochum und Mitglied
des Deutsch-Zyprischen Forums, eingeladen. Christoph Ramm gab zugleich
einen Überblick über die politische Situation auf Zypern
und bat die Teilnehmer des Workshops aus der gemeinsamen Erfahrung
über mögliche Wege zum gemeinsamen Miteinander in der
Heimat nachzudenken. Doch schon die Rede von der (nur durch die
Türkei anerkannten) nord-zypriotischen Regierung oder der Besetzung
von Teilen der Insel durch das türkische Militär entfachte
sofort die Richtigstellungsbemühungen beider Seiten. Vor den
Blick in die Zukunft stellte jeder Redner die Argumentation aus
der Vergangenheit heraus. Dort wo die Vision des Künstlers
gefragt war, kam die politische, mit historischen Fakten bewehrte
Position.
Deutlich wurde für uns als Veranstalter, dass vor der Entwicklung
einer gemeinsamen Vision eine enorme Arbeit des wechselseitigen
Erzählens, der Darstellungen, des Aufarbeitens des Geschehenen
kommen muss. Diesem konnte der Workshop in Berlin nur einen geringen
Raum einräumen.
Die Differenzen, die beide Seiten trennen, sind in Berlin, zwischen
den griechisch-zypriotischen und den türkisch-zypriotischen
Schauspielern, die hier zu Gast waren, nicht überbrückt
worden. Aber sie sind deutlicher geworden.
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