"Bewegungsmelder" ist konzipiert als modulare Projektserie,
welche in 2006 mit einem Roundtable beim Festival "euro-scene
Leipzig" und der Kooperation mit dem Zentrum Technik und Gesellschaft
der TU Berlin bei der Konferenz
"The New Surveillance" eröffnet wurde.
Nicht erst seit 11/9/2001 und eher carmoufliert in Terrorismus-
und Sicherheitsdebatten geraten immer mehr Bereiche des öffentlichen
und privaten Raumes in den Fokus von Beobachtungs- und Überwachungsmaßnahmen.
Videoüberwachung (Close Circuit Television CCTV) galt lange
Zeit als Patentlösung gegen Kriminalität und zur Revitalisierung
von Innenstädten, sie gehört zur Betriebsroutine des öffentlichen
Nahverkehrs, der Mautsysteme, von öffentlichen Plätzen,
Geschäften, Tankstellen und Banken. Inzwischen wird der Videoüberwachung
bereits in verschiedenen Studien jene Effizienz in der Kriminalitätsprävention
abgesprochen, die vielfach diese Maßnahmen offiziell begründet.
Die Kritik am Phänomen - von Bürgerrechtlern, Datenschützern,
Medienkünstlern - ist bereits eine ältere. Eine neue Qualität
erhält das Problem jedoch auch durch ein System von umfassender
Datenerfassung (bei diversern Bonus, ec oder Gesundheitskarten),
durch die Entwicklung biometrischer Erkennungstechnik und die Erfassung
individueller biometrischer Daten in den ID-Dokumenten, Positionsbestimmungen
über das Mobilfunknetz etc. Die Überwachung durch die
sichtbare Kamera erscheint nur als Rudiment in einer Welt unsichtbarer
Kontrolle durch unsichtbare Aufzeichnungsgeräte im akustischen
und optischen Bereich und durch den gesamten Bereich der unsichtbaren
Datenerfassung und -sammlung.
Aber realisiert sich dergestalt vielleicht doch noch die panoptische
Vision einer "totalen Überwachung"? Die Videoüberwachung
ist zu einem allgegenwärtigen, permanenten, vielfach billigend
in Kauf genommen Eingriff in die Lebenssphäre des Einzelnen
geworden. Der Schutz vor Kriminalität wird als höheres
Gut gegenüber dem Schutz der Privatsphäre im öffentlichen
Raum bewertet. Die These, dass Videoüberwachung normierte,
der Ordnung entsprechende Bewegungsweisen vorgibt, dass diese "korrekten
Verhaltensweisen" bereits weitgehend internalisiert seien,
dass sie bei den Beobachteten bereits bestimmte Bewegungsmuster
generiert werden und Kontrolle zur Selbstkontrolle mutiert - diese
These wird inzwischen kritisch befragt. Überwachung und Datenerfassung
- auch wenn sie ohne Wissen der Öffentlichkeit, entzogen demokratischer
Kontrolle und in viel größerem Ausmaß als bekannt
erfolgen - taugen nicht mehr zum Skandal.
Der Wandel vom Paradigma des Panoptikums mit dem außen Stehenden,
alles sehenden, aber selbst unsichtbar bleibenden Wächter hin
zu einem komplexen Szenario, in dem jeder zugleich Agierender/Beobachteter
und Beobachter eines Anderen ist hat sich vollzogen. Die Technik,
um Bilder aufzunehmen und zu übertragen, ist inzwischen für
fast jeden verfügbar.
Mit den Bilddiensten von Google und anderen, sind Bilder von jedem
Teil der Erde verfügbar, die Kameras von Mobiltelefone erlauben
kaum bemerkbare Aufnahmen aus der Umwelt. Wobei die hauptsächliche
Nutzungsidee, welche die Werbung den Nutzern suggeriert, die Aufnahme
des Nutzers selbst ist - mit Freunden, in witzigen Situationen,
vor touristischen Attraktionen etc.
Die Selbstvergewisserung im das Produzieren und Distribuieren immer
neuer Bilder von sich selbst scheint das Individuum der Gegenwart
zu konstituieren - und weniger die selbst bestimmte Abgrenzung zwischen
öffentlichem Sein und privatem Sein.
Im Umfeld der kritischen Öffentlichkeit entwickeln (zumeist
bildende) Künstler Projekte -Installationen und Performances
-, die sich mit Überwachungs- Macht- und Kontrollmechanismen
auseinander setzen.
Zugleich scheinen Choreografen - deren künstlerische Arbeit
engstens mit der Beobachtung, Analyse und (De-)Konstruktion von
Bewegung verbunden ist -, prädestiniert, sich mit dieser Form
der Beobachtung und Regelung von Bewegungsabläufen in der außerkünstlerischen
Welt auseinander zu setzen. Die Selbstbeobachtung und Selbstwahrnehmung
des Künstlers zielt auf das Erkennen eigener Bewegungsmuster
und davon ausgehend auf das Spiel, die kreative Manipulation dieser
Muster. Kann nun dieses künstlerische Know-how für eine
künstlerische Analyse sozialer Gegenwart aktiviert werden?
Der Themenkomplex der Beobachtung von Bewegung - Videodokumentation
- Überwachung ist der Ausgangspunkt der unter dem Label "Bewegungsmelder"
initiierten Projekte. In deren Zentrum sollen choreografische Perspektiven
stehen, jedoch werden diese künstlerischen Erfahrungen mit
Arbeitsweisen anderer Künstler aus allen Bereichen der Performing
Arts konfrontiert und Informationen und Impulse bzw. Beiträge
von Soziologen, Journalisten, Politikern und Kulturwissenschaftlern
aufgenommen. In der Kombination unterschiedlicher Formate - Diskussionen,
Workshops, Laboratorien und Symposium - stellt das Projekt ein vielseitiges
Forum in der künstlerischen Auseinandersetzung mit Fragen von
Demokratie und Kontrolle dar.
Fragestellungen, zu denen Diskussions- und Arbeitsprozesse initiiert
werden:
- Politik im Theater: politische Momente in der Kunst (politische
Intention vs. Kunst)
- politisches Engagement von Künstlern
- Künstlerischer Ausdruck sozialer Konflikte
- Kunst der Bildkontrolle: individuelle Bildproduktion - Mediale
Bildproduktion
- Demokratie und Kontrolle
- Bewegungsanalyse, Körperforschung
- Kontrolle und Spiel, Systemforschung
- Mensch-Maschine-Interaktion
- Interventionen im öffentlichen Raum