Pressemitteilung vom 16.03.2005
27.03.2005 - Welttheatertag / Preis des ITI an Kurt Hübner / Internationale
Botschaft von Ariane Mnouchkine
Preis zum Welttheatertag - 27. März 2005
Das Zentrum Bundesrepublik Deutschland verleiht seinen Preis zum Welttheatertag
an
Kurt Hübner
In diesem Jahr würdigt das ITI das Lebenswerk eines großen
Beförderers des deutschen Theaters, das mit ihm und mit vielen Theaterkünstlern,
die durch ihn entdeckt und berühmt wurden, internationale Ausstrahlung
gewann.
Mit Kurt Hübner, Intendant, Regisseur und Schauspieler, verbindet
sich der schon legendäre "Bremer Stil". Seine elfjährige
Bremer Intendanz von 1962 - 1973 war eines der wichtigsten Kapitel des
deutschen Theaters im 20. Jahrhundert.
Zahlreich sind die Namen deren, die mit Hübner ein politisches, brisantes
und brillantes Theater auf die Bremer Bühne brachten. Seien es die
Regisseure Peter Zadek, Peter Stein, Rainer Werner Fassbinder, Alfred
Kirchner, Peter Palitzsch, Eberhard Fechner, Johannes Schaaf, Hans Neuenfels
und Klaus Michael Grüber oder Bühnenbildner wie Wilfried Minks
und Erich Wonder. Zum Schauspiel-Ensemble gehörten seinerzeit Jutta
Lampe, Edith Clever, Bruno Ganz, Traugott Buhre, Buddy Elias, Hannelore
Hoger, Vadim Glowna, Mechthild Grossmann, Irm Hermann und viele andere.
Der "Bremer Stil" steht für den Bruch mit traditionellen
Sehgewohnheiten und die Reibung mit Publikum und Politik. Nicht zuletzt
aus dieser Spannung hat das deutsche Theater seine Qualität entwickelt
und internationale Ausstrahlung gewonnen. Hübner hielt das Spannungsverhältnis
in Bremen bis 1973 aus, dann ging er nach Berlin zur Freien Volksbühne.
Seit 1986 widmet sich Hübner der freien Theaterarbeit, er schreibt
und lehrt, u.a. in München an der Theaterakademie. Kurt Hübner
ist heute 88 Jahre. Zum Welttheatertag, am 27. März 05, ehrt das
ITI sein Lebenswerk.
Die feierliche Übergabe der Urkunde des undotierten Preises findet
voraussichtlich im Juni diesen Jahres im Rahmen von "Theater der
Welt. Ein Festival des ITI und der Staatstheater Stuttgart" statt.
Der Welttheatertag
Der 27. März wird weltweit als Tag des Theaters begangen. Auf die
zentrale Bedeutung des Theaters in der Gesellschaft aufmerksam zu machen
und diese Position in der öffentlichen Wahrnehmung zu stärken
- dazu initiieren Theaterleute Feste, Medienkampagnen und Diskussionsforen
mit ihrem Publikum.
Erstmalig proklamierte der IX. Kongress des Internationalen Theaterinstituts
in Wien 1961 den Eröffnungstag des Festivals "Theater der Nationen"
in Paris 1962, den 27. März, zum Welttheatertag, der fortan alljährlich
und weltweit an diesem Tag begangen wird.
International renommierte Theaterleute (u.a. Jean Cocteau, Arthur Miller,
Laurence Olivier, Jean-Louis Barrault, Helene Weigel, Peter Brook, Pablo
Neruda, Maurice Béjart, Ellen Stewart, Wole Soyinka, Martin Esslin,
Vaclav Havel) verfassten aus Anlass des Welttheatertages Botschaften,
in denen sie sich mit Bedeutung und Wirkung der Bühnenkunst im gesellschaftlichen
Kontext auseinander setzen. Der Text wird jeweils weltweit verbreitet.
In diesem Jahr kommt die Botschaft zum Welttheatertag von Ariane Mnouchkine,
der Begründerin des Théâtre du Soleil.
Nachfolgend möchten wir Ihnen diese Botschaft übermitteln mit
der Bitte, sie in Ihrem Theater, in Ihrem Medium, unter Künstlern
und Publikum zu verbreiten.
Am 31. März 05 werden Ariane Mnouchkine und das Théâtre
du Soleil mit der Picasso-Medaille der Unesco geehrt. Im Rahmen einer
offiziellen Feier im Sitz der Unesco in Paris wird die Medaille von Gérard
Mortier, Direktor der Opéra de Paris, überreicht. In Gegenwart
von ITI-Präsident Manfred Beilharz, Intendant des Staatstheaters
Wiesbaden, und Vertretern der Unesco werden sich an die Laudatio die Lesung
der Botschaft zum Welttheatertag und eine Diskussionsrunde zum Thema "Ariane
Mnouchkine und das Théâtre du Soleil - ein einzigartiges
Abenteuer" anschließen.
Internationale Botschaft von Ariane Mnouchkine (Frankreich)
Hilfe!
Theater, komm mir zur Hilfe!
Ich schlafe. Wecke mich auf
Ich bin verloren im Dunkel, führe mich, wenigstens zu einer Kerze
Ich bin faul, beschäme mich
Ich bin müde, hilf mir auf
Ich bin gleichgültig, schlage mich
Ich bleibe gleichgültig, hau' mir in die Fresse
Ich habe Angst, mache mir Mut
Ich bin unwissend, erziehe mich
Ich bin ein Ungeheuer, mache mich zum Menschen
Ich bin eingebildet, lasse mich sterben vor Lachen
Ich bin zynisch, bringe mich aus der Fassung
Ich bin dumm, verwandle mich
Ich bin böse, bestrafe mich
Ich bin herrisch und grausam, bekämpfe mich
Ich bin kleinlich, mache dich lustig über mich
Ich bin vulgär, bilde mich
Ich bin stumm, löse meine Zunge
Ich träume nicht mehr, schelte mich blöd oder feige
Ich habe vergessen, lass das Erinnern über mich kommen
Ich fühle mich alt und abgeschlafft, lasse die Kindheit tanzen
Ich bin schwerfällig, schenke mir Musik
Ich bin traurig, suche mir Freude
Ich bin taub, lass den Sturm des Schmerzes schreien
Ich bin unruhig, lass Weisheit wachsen
Ich bin schwach, entfache Freundschaft
Ich bin blind, rufe das Licht herbei
Ich bin dem Hässlichen untertan, als Eroberin lasse die Schönheit
herein
Ich wurde angeworben vom Hass, lasse mich Liebe schenken, mit aller Kraft.
Ariane Mnouchkine und das Théâtre du Soleil
Ariane Mnouchkine wurde als Tochter des Produzenten Alexander Mnouchkine
am 03.03.1939 in Boulogne-Billancourt (Frankreich) geboren. Ihre Ausbildung
erhielt die Schauspielerin und Regisseurin an der Sorbonne in Paris. 1964
gründete sie mit einer Gruppe von Schauspielern und Technikern des
Universitätstheaters das Théâtre du Soleil als politisch
aktives Theater, das gesellschaftskritisch auf die soziale Wirklichkeit
Einfluß nehmen und "die Bedingungen, unter denen wir leben,
verändern" möchte (Ariane Mnouchkine). Als ihre erste Arbeit
zeigten sie Gorkis "Die Kleinbürger" in der Bearbeitung
von Arthur Adamov am Mouffetard Theatre. Die zweite Produktion "Le
Capitaine Fracasse" von Philippe Léotard, eine Adaption des
Werks Théophile Gautiers, reflektierte ihren einzigartigen Ansatz
innerhalb des Französischen Theaters. Unter Mnouchkines Leitung entstanden
Inszenierungen, mit denen sie versuchte, neue Theaterformen zu erforschen
und poetische Kunst auf der Bühne zu kreieren. Sie integriert sowohl
das Theater des Fernen Ostens und der antiken Tragödie als auch die
Traditionen des volkstümlichen Theaters wie der Commedia dell'arte.
Die Methoden und Techniken des Körpertheaters eignete sich die Gruppe
in der Schule von Jacques Lecoq an und arbeitet heute mit den Mitteln
der Pantomime, des Kabaretts, der Akrobatik und der Improvisation.
Im August 1970 zog das Théâtre du Soleil in die "Cartoucherie",
eine alte Fabrikhalle am Stadtrand von Paris. Hier fand die Kompanie Raum
und Möglichkeiten, ihre aufwändigen Ausstattungsstücke
umzusetzen. Internationale Aufmerksamkeit erhielten die Produktionen "1789"
(1975 verfilmt), "1793", "L'Age d'Or", "Molière"
(1978 verfilmt) und "Mephisto".
Als Kontrast zum gesellschaftlichen Engagement entstanden ab 1981 Produktionen
aus purer Lust am Theaterspiel. Mnouchkine entwickelte eine zugleich ungewohnte
und bemerkenswerte Bild- und Zeichensprache für die Adaptionen von
Shakespeare-Dramen sowie von Griechischen Tragödien: "Bei Shakespeare
in die Lehre gehen auf der Suche nach Ausdrucksformen, die die Geschichte
unserer Zeit erzählen" (Ariane Mnouchkine).
In ihrer Stückauswahl nimmt sich Ariane Mnouchkine die Freiheit,
ihrer Inspiration zu folgen. Unaufhörlich entwickelt sich das Théâtre
du Soleil in seinem kreativen Prozess weiter. Derzeit arbeitet es an der
Verfilmung von "Le Dernier Caravansérail (Odyssées)"
und feiert seinen 40. Geburtstag mit geladenen asiatischen Gästen.
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